NSA-Dokumente aus erster Hand

icontherecordGestern hat die US-Regierung hat eine neue Website unter http://icontherecord.tumblr.com/ online gestellt, auf der das Büro des Director of National Intelligence unter anderem Stellungnahmen abgibt sowie ehemals geheime oder vertrauliche Dokumente (teilweise geschwärzt) publiziert. Die Seite wurde von Präsident Obama in einer Pressekonferenz am 9. August angekündigt und soll ganz offensichtlich der Beruhigung der Gemüter in Bezug auf die NSA-Affäre dienen:

… the goal of IC ON THE RECORD is to provide the public with direct access to factual information related to the lawful foreign surveillance activities carried out by the Intelligence Community…

The highest priority of the Intelligence Community is to work within the constraints of law to collect, analyze and understand information related to potential threats to our national security.

As we work to deliver the most insightful intelligence possible, we must and will, without compromise, uphold the rule of law and respect the civil liberties and privacy of every American.

Es geht – wohlgemerkt – um die Privatsphäre jedes Amerikaners. Diese Unterscheidung wird detailliert in einem der bereits veröffentlichten Dokumente („Minimization Procedures“) ausgeführt. Der Abschnitt, der uns im Rest der Welt betrifft, ist sehr kurz – unter der Überschrift „Section 7 – Other foreign communications“ steht dort: „Foreign communications of or concerning a non-United States person may be retained, used and disseminated in any form in accordance with other applicable law, regulation, and policy.“

Im Kontext dieses Dokumentes heißt das: De jure genießen US-Bürger einen gewissen Schutz ihrer privaten Kommunikation, der dazu führt, dass nur in begründeten Ausnahmefällen diese Kommunikation gespeichert, analysiert und weitergeleitet werden darf – für Menschen aus allen anderen Ländern gilt dieser Schutz eben nicht. Keine Überraschung, aber doch nett, es nochmals so amtlich bestätigt zu bekommen.

Vom öffentlichen Umgang mit Intelligence Reports

unwissen In den letzten Tagen kam ein wenig Verwirrung über die US-amerikanische Einschätzung des Atomwaffenpotenzials der Nordkoreaner auf, nachdem ein amerikanischer Kongressabgeordneter aus einem geheimen Report der DIA zitiert hatte, einem der militärischen Nachrichtendienste der USA. Dort hieß es laut Welt Online angeblich, dass „Nordkorea eine solche Waffe [eine ballistische Rakete mit einem Atomsprengkopf] abfeuern könnte, diese aber noch unzuverlässig sei“.

Leider hat dieser Satz die klassische Karriere einer Meldung aus dem nachrichtendienstlichen Umfeld hinter sich. Denn erstens wurde das Originalzitat aus dem Zusammenhang gerissen – wenn ein Politiker einen einzigen Satz aus einem ansonsten als „Geheim“ eingestuften Bericht erwähnt, ist das für sich genommen schon schwierig. Zweitens werden in diesem einen Satz definierte Fachbegriffe genutzt, deren Definitionen einem Laien als solche nicht bekannt sind – sie werden nicht einmal als Fachbegriffe erkannt. Drittens wird der Satz, der schon per se nicht richtig verstanden wurde, dann auch noch als Beweis für „Uneinigkeit“ verschiedener US-Geheimdienste interpretiert. Und viertens wird er journalistisch verkürzt und zugespitzt, damit’s auch mit der Überschrift klappt. Am Ende titelt die WELT Online: „Das gefährliche Unwissen über Nordkoreas Atomrakete“ und leitet den Artikel ein mit dem Satz „Laut US-Militärgeheimdienst DIA verfügt Pjöngjang über raketentaugliche Nuklearsprengköpfe“.

Danwpnukeskenswerterweise hat Max Fisher in der Washington Post den Satz wieder in den richtigen Kontext gerückt und dabei in einem lesenswerten Artikel akribisch aufgedröselt. Im Original lautet er: „D.I.A. assesses with moderate confidence the North currently has nuclear weapons capable of delivery by ballistic missiles; however the reliability will be low“ – und sagt nichts darüber aus, ob sich die fehlende Verlässlichkeit auf die Rakete oder den Sprengkopf bezieht, und schon gar nichts darüber, ob diese Vermutung eine Veränderung gegenüber der Vergangenheit darstellt. Bereits vor etwa acht Jahren wurde ein ähnlicher Satz als Einschätzung bekannt – ohne dass er in der Zwischenzeit verifiziert werden konnte. Außerdem wird diese Einschätzung offenbar nicht in der gesamten intelligence community geteilt, was die Distanzierung durch den US-Außenminister und auch durch das Pentagon erklären kann. Möglicherweise will man aber auch einer Fehlinterpretation zuvorkommen.

HIlfreich ist es in diesem Zusammenhang auch, sich bewusst zu machen, dass „moderate confidence“ mitnichten so dahingeschrieben ist, sondern Teil einer Nomenklatur ist, die es dem ausgewählten Zielpublikum von intelligence reports ermöglichen soll, den Grad der Sicherheit einer Aussage zu bestimmen. Wer Spaß daran hat, in die Materie einzusteigen, kann dies anhand eines Essays von Sherman Kent tun, der unter dem Titel Words of Estimative Probability nicht nur die linguistischen, sondern auch die soziologischen und psychologischen Probleme auffächert, die sich ergeben, wenn man versucht, einen in Entstehung befindlichen Pudding (sprich: eine aus verschiedenen, unterschiedlich zu bewertenden Quellen zusammengesetzte Einschätzung zukünftigen Verhaltens auf Geheimhaltung ausgerichteter Akteure) so an die Wand zu nageln, dass er als Zielscheibe konkreten politischen Handelns dienen kann.

Open-Government-Präzedenzfall: „Geheimes“ Gutachten zur Abgeordnetenbestechung jetzt veröffentlicht

netzpolitik.org hat vor ein paar Minuten ein Rechtsgutachten zum Thema „Abgeordnetenbestechung“ veröffentlicht, das 2008 vom Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestags erstellt wurde. Das PDF kann man hier herunterladen. Was diese Aktion zu einem Präzedenzfall machen könnte, ist die Tatsache, dass dieses Gutachten zwar mit Hinweis auf das Informationsfreiheitsgesetz von jedem Bürger angefordert werden kann, seine Veröffentlichung durch Bürger aber durch das Urheberrecht verboten sein soll.

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Sechs Lektionen aus 40 Jahren Intelligence-Analyse

Ein paar Punkte, die das Versagen der Geheimdienste in Deutschland bei der Verhinderung und der Aufklärung der NSU-Morde erklären können, habe ich ja schon angeführt:

  • Es fehlen Standards in der Ausbildung.
  • Eine intelligence community im eigentlichen Wortsinn existiert praktisch nicht, in der ein personeller und ideeller Austausch zwischen den Sphären stattfinden könnte, und
  • die Bunkermentalität einer auf konspirative Methoden fixierten Bürokratie verhindert eine zusammenführende Analyse und damit die Produktion von actionable intelligence.

Als wenn das nicht schon schlimm genug wäre, kommt auch noch ein generelles Unverständnis der Öffentlichkeit über nachrichtendienstliche Arbeitsweisen und Methoden hinzu – der Grad der Empörung verhält sich meist umgekehrt proportional zur Expertise der Kritiker. Was völlig fehlt, ist eine Innensicht, die sich kritisch, aber gleichzeitig konstruktiv mit den Bedingungen dieser Arbeit auseinandersetzt.

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Unser 9/11 und die Ursachen

Die Aufdeckung der Morde einer rechtsradikalen Truppe, begangen über den Zeitraum einer Dekade, unbehindert von Polizei und Verfassungsschutz – das ist das deutsche 9/11. Während in den USA nach dem 11. September eine Diskussion über intelligence failures einsetzte, die mit dem 9/11 Commission Report ihren offiziellen Abschluss fand, aber noch längst nicht beendet ist, stecken wir erst in den Anfängen. Wie in einer russischen Matrjoschka-Puppe scheint in jedem Aspekt dieses Skandals ein weiterer verborgen zu sein – in der Konsequenz müssen Behördenchefs ihre Sessel räumen, Strukturen und Methoden werden in Frage gestellt, sogar die Sinnhaftigkeit des Verfassungsschutzes als Institution wird ernsthaft diskutiert.

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